Unser Redebeitrag bei der Demo „Bezahlkarte“

Redebeitrag bei der Demonstration gegen die Bezahlkarte für geflüchtete Menschen am 27.7. in Kiel

Ich habe bis vor kurzem Sprachunterricht im Schusterkrug für geflüchtete Menschen gegeben. In dieser Flüchtlingsunterkunft in Friedrichsort leben rund 800 Menschen auf engstem Raum. Junge Männer schlafen zum Teil in Vierbettzimmern, und kinderreiche Familien müssen mit ein bis zwei kleinen Zimmern klarkommen.

Das ist keineswegs, wie ursprünglich vorgesehen, eine Übergangslösung. Viele Menschen leben seit Jahren unter diesen prekären Bedingungen. So habe ich eine 5-köpfige Familie kennengelernt, die schon seit 2018 in zwei Zimmern im Schusterkrug leben muss.

Bei der Suche nach einer Wohnung müssen sich geflüchtete Menschen meist ohne Aussicht auf Erfolg ganz hinten anstellen. Und die Schlange ist lang. Das weiß jeder und jede, die in Kiel eine Wohnung sucht.

Es ist perfide, dass dafür aus dem rechten Lager Geflüchtete auch noch verantwortlich gemacht werden. Diese „Das Boot ist voll“- Stimmung fügt sich in die Begründung einer repressiven Asylpolitik ein, in der die AfD die “Parteien der demokratischen Mitte“ vor sich hertreibt.

Die Einführung der Bezahlkarte ist ein weiteres Beispiel für diese Politik.

Ein Blick auf die Wohnungspolitik der Stadt Kiel zeigt jedoch, dass es für die Wohnungsmisere ganz andere Gründe gibt. Es beginnt damit, dass die Stadt Ende der 90er Jahre ihren eigenen Bestand an 11.000 Wohnungen zu Spottpreisen an private Investoren – heute: Vonovia – verkauft hat. Zudem hat sie den sozialen Wohnungsbau sträflich vernachlässigt. So fielen wesentlich mehr Wohnungen aus der Sozialbindung heraus als neue dazukamen. Allein von 2005 bis 2023 ist der Bestand an Sozialwohnungen von 16 Prozent auf fast 4 Prozent gesunken.

Gebaut wurde in dieser Zeit auch in Kiel vorwiegend für Menschen mit einem weit überdurchschnittlichen Einkommen. Die Neubauten im Schlossquartier, an der Alten Feuerwache und an der Hörn sind Ausdruck dieser Wohnungspolitik. Nach der bisherigen Planung wird sich das auch in dem großen künftigen Neubaugebiet Holtenau Ost mit 2.500 Wohnungen fortsetzen.

Insgesamt führte diese Entwicklung zu einem dramatischen Mangel an bezahlbarem Wohnraum :

– In Kiel sind über 2500 Menschen wohnungslos

– Nach dem DGB fehlen 17.000 Wohnungen für Menschen in Kiel, die weniger
verdienen, als die obere Hälfte dieser Gesellschaft

– Obwohl 40 Prozent der Kieler Haushalte einen Anspruch auf einen
Wohnberechtigungsschein haben, gibt es nur einen Bestand von rund 4 Prozent
Sozialwohnungen

– Nach dem Mietspiegel der Stadt Kiel von 2023 haben sich seit 2019 die Mieten um 15
Prozent erhöht. 2023 betrug der durchschnittliche Mietpreis 9,60 €.
Rechnet man die gestiegenen Heiz-und Betriebskosten hinzu, treibt der hohe
Mietanteil am Einkommen immer mehr Menschen in die Verarmung.

Erschwerend zu dieser sozialen Krise auf dem Wohnungsmarkt kommt hinzu, dass infolge der dramatisch gestiegenen Boden- und Baupreise auf dem freifinanzierten Wohnungsmarkt kostendeckend überhaupt kein bezahlbarer Wohnungsbau mehr hergestellt werden kann.

Eine kostendeckende Miete würde unter diesen Bedingungen bei 18 € pro qm aufwärts liegen. Das ist ein Mietpreis, den sich nur noch Menschen mit einem weit überdurchschnittlichen Einkommen leisten können.

Das heißt, dass bezahlbarer Wohnraum nur noch gefördert herstellbar ist.

Um das langfristig zu sichern, ist die Entfristung der Sozialbindung dringend notwendig. Einmal Sozialwohnung, immer Sozialwohnung!

Außerdem muss der kommunale Wohnungsbau spürbar ausgeweitet werden.

Wir fordern daher: – 50 Prozent sozialer Wohnungsbau bei allen Neubauprojekten!
– Kommunaler Wohnungsbau statt Vonovia & Co.!
– Mietendeckel!
– Eine Wohnung für alle wohnungslosen Menschen nach dem
Konzept “Housing First“!

Die genannten Zahlen belegen ganz klar, nicht geflüchtete Menschen sind an dem dramatischen Mangel an bezahlbaren Wohnungen schuld, sondern eine Wohnungspolitik, die man als asozial bezeichnen muss. Denn sie benachteiligt vor allem Menschen, die auf bezahlbaren Wohnraum angewiesen sind.

Andreas Meyer

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