Mit dieser Frage hatte das Bündnis für bezahlbaren Wohnraum die vier Oberbürgermeisterkandidaten am 27.9. in den Legienhof zu einer Podiumsdiskussion eingeladen. Über hundert Besucher und Besucherinnen füllten den Saal bis auf den letzten Platz.
Zunächst wurden die Positionen von Bündnisorganisationen und dem Mieterverein zu diesem Thema beschrieben. Anschließend nahmen die OB Kandidaten dazu Stellung.
Von Charlotte Spieler und Andreas Meyer
Die Position des Bündnisses für bezahlbaren Wohnraum
Zu Beginn der Veranstaltung warf Charlotte Spieler für das Bündnis den Blick auf einige zentrale Problembereiche der Kieler Wohnungspolitik. Sie wies darauf hin, dass in den letzten 20 Jahren, angefangen 1999 mit dem Verkauf von 11 000 kommunalen Wohnungen, bis heute faktisch keine soziale Wohnungspolitik stattgefunden habe. Im Gegenteil. Der Bestand der sozialen Wohnungen sank um mehr als als die Hälfte, der Fehlbestand an bezahlbaren Wohnungen erhöhte sich ständig und die Entwicklung einer neuen kommunalen Wohnungsgesellschaft verlaufe sehr zögerlich mit einer viel zu geringen personellen und finanziellen Ausstattung. Der in der Endstufe geplante Bestand von 4000 Wohnungen reiche aus der Sicht des Bündnisses hinten und vorne nicht, um auf dem Wohnungsmarkt nur ansatzweise wirksam zu werden. Weiterhin verwies Spieler darauf, dass die Stadt Kiel lange Zeit von ihrem Vorkaufsrecht keinen Gebrauch gemacht habe und bei Bebauungsplänen darauf verzichtet wurde, Investoren Vorgaben für geförderte und bezahlbare Wohnungen zu machen.
Auch der Abruf von Landesmitteln für den sozialen Wohnungsbau wurde nicht ausgeschöpft.
Aus Spielers Sicht müsse die Stadt Kiel in Zukunft auch von Zweckentfremdungsverboten und Milieuschutzsatzungen gegen Luxussanierungen stärker Gebrauch machen.
Die Position des Mietervereins
Jochen Kiersch vom Mieterverein SH beschrieb mit konkreten Zahlen das Dilemma der Kieler Wohnungssituation. Zunächst stellte er fest, dass der Mieterverein in Kiel von einem Fehlbestand von 8500 Wohnungen ausgehe. Wolle man diesen Fehlbestand in 10 Jahren ausgleichen, müssten jährlich zusätzlich 850 Wohnungen gebaut werden. Zwischen den Jahren 2007 bis 2018 wurde aber mit durchschnittlich 299 Wohnungen dieser Bedarf weit verfehlt. Kiersch wies darüber hinaus darauf hin, dass nach dem Krieg zwischen 15.000 – 18.000 Sozialwohnungen gebaut wurden. Deren Bestand sei inzwischen auf weniger als 2.000 Wohnungen abgesackt. Aus Sicht des Mietervereins müssen die Sozialwohnungen mindestens auf einen Bestand von 10.000 Wohnungen wieder aufgestockt werden.
Den Ausbau der kommunalen Wohnungsgesellschaft KiWoG hält Kiersch – wie auch das Bündnis für bezahlbaren Wohnraum – für völlig unzureichend.Die Beschränkung auf 4.000 Wohnungen in erster Linie für Menschen ohne dauerhaften Wohnraum reiche nicht aus, um wohnungspolitisch etwas zu bewegen. Dazu seien mindestens 13.000 Wohnungen (ca. 10 % des gesamten Bestands) notwendig, zumal der Markt im Bereich des bezahlbaren und geförderten Wohnraums völlig versage. Kiersch wies weiter darauf hin, dass die soziale Durchmischung in Kiel kaum schlechter sein könne. Lange Zeit habe die Stadt Kiel durch Baugenehmigungen diese Entwicklung noch befeuert. So wurden beispielsweise in der Moltkestraße 75 ältere, aber durchaus gebrauchstaugliche Wohnungen durch Luxuswohnungen ersetzt. Auch die Wohnungsprojekte am Schlosspark und der alten Feuerwache bestärkten diesen Trend.
Die Position von Hempels
Lukas Lehmann von Hempels beschrieb die ständig wachsende Zahl von “Wohnungsnotfällen“ in Kiel. Ein solcher Wohnungsnotfall bestehe für Menschen, die keine gesicherte Wohnung haben.
Ende letzten Jahres wurden 2.148 Wohnungsnotfälle in Kiel registriert. Dazu gehören asylberechtigte Menschen, die immer noch in Sammelunterkünften leben müssten. Doch auch für “ortsansässige“ wohnungslose Menschen fehlen 1.005 Wohnungen.
Insgesamt habe sich die Anzahl der Wohnungsnotfälle seit 2013 um 360 Prozent erhöht.
Neben einer Verbesserung der Prävention wie Beratungsstellen für Vermieter und Mieter oder einer Stärkung der Nachsorge mit sozialraumorientierten Angeboten müsse nach Lehmann vor allem die Wohnraumversorgung im Mittelpunkt stehen. In diesem Bereich der Wohnungswirtschaft falle die private Wohnungswirtschaft weitgehend aus, weil er mit hohen Risiken und geringer Profitabilität verbunden sei.
Vor diesem Hintergrund verfolgt Hempels ein Konzept, das“Housing First“ heißt. Danach sind erst mit einer Wohnung die Probleme von wohnungslosen Menschen nachhaltig zu lösen.
Daher fordere Hempels eine stärkere Landesförderung besonders bei dem Wohnungsbau für “problembelastete Haushalte“ und für Maßnahmen der “Wohnfähigkeitsbegleitung“.
In diesem Bereich könne auch die Kommune durch freiwillige Leistungen stärker tätig werden.
Insgesamt stelle sich also die Frage, wie in Kiel sicher gestellt werden könne, dass Menschen ohne Wohnraum besonders mit sog.“multiplen Schwierigkeiten“ schnell einen sicheren Wohnraum und eine Unterstützung bekommen, um dort langfristig und erfolgreich leben zu können.
Die Position des Flüchtlingsrates
Martin Link erklärte, dass viele Flüchtlinge nach langem Aufenthalt in Gemeinschaftsunterkünften inzwischen eine Wohnung bekommen haben, aber dennoch ein beachtlicher Teil weiterhin in den Gemeinschaftsunterkünften leben müsse. Da sich das gesellschaftliche Klima gegenüber Asylsuchenden inzwischen wesentlich verschlechtert habe und Abschiebung die politische Agenda bestimme, werde auch die Wohnungssuche schwerer. Darüber hinaus nehmen die Mieten für viele Flüchtlinge, die inzwischen erwerbstätig seien, einen zu hohen Anteil an ihrem Einkommen ein. Das gelte auch für staatliche Unterkünfte. Die meisten von ihnen bezögen Niedriglöhne in schlecht bezahlten Jobs. Diese finanziellen Verhältnisse machten Familienzuzüge unmöglich.
Die Position von Verdi
Sandra Dziekan betonte, dass der ÖPNV auch eine bedeutende Stellschraube in der Versorgung mit bezahlbaren Wohnraum sei. So könnte durch eine attraktive und kostengünstige Anbindung der Randgebiete durch Bus und Bahn der Zuzugsdruck von „Szenevierteln“ und anderen Innenstadtgebieten genommen werden. Berufliches Pendeln und die Erreichbarkeit der Innenstadt müssten daher kostengünstig und gut sein. Davon sei der ÖPNV in Kiel allerdings weit entfernt. Viele Buslinien seien gerade in den Hauptlinien häufig überfüllt, und in den Randgebieten fehle eine gute Taktung und Streckenführung, um schnell, bequem und kostengünstig in die Innenstadt zu gelangen. Für sie stelle sich also die Frage, wie der ÖPNV unter diesem Aspekt verbessert und kostengünstiger ausgebaut werden könne, z.B auch durch ein 365-€-Jahres-Ticket oder ein ähnliches Modell.
Bilderstrecke der Veranstaltung (Fotos: Jens Kramer)
Die Stellungnahme der OB-Kandidaten
Hinsichtlich des Wohnungsbaus waren sich die OB-Kandidaten einig, dass es in diesem Bereich erhebliche Defizite gäbe. Die Vorstellungen, wie damit umzugehen sei, wichen jedoch stark voneinander ab. Das zeigte sich am deutlichsten hinsichtlich des Ausbaus der KiWoG. Während Ulf Kämpfer (SPD) die kommunalen Ausgaben von einer Million jährlich und das Ausbauziel von 4.000 Wohnungen für ausreichend hielt und erklärte, dass es schon jetzt schwierig sei, dieses Konzept bei der Kommunalaufsicht durchzusetzen, verwiesen die anderen Kandidaten darauf, dass dieser Ansatz bei weitem nicht ausreiche, um wohnungspolitisch wirksam zu werden.
Björn Thoroe (Die LINKE) forderte mindestens 13.000 Wohnungen und erklärte, dass die Wohnungsgesellschaft als städtischer Eigenbetrieb vom Haushalt der Kommune in der Kreditaufnahme unabhängig sei. Thoroe vermutete.dass der begrenzte Ausbau der KiWoGauch damit zu erklären sei, dass es dabei nur um eine Notmaßnahme für Wohnungslose ginge, für die sich der Markt eh nicht interessiere. Darüber hinaus wolle sich die Stadt aber nicht als Konkurrentin auf dem freien Markt zur privaten Vermietern und Wohnungsgesellschaften positionieren. Darüber hinaus forderte Thoroe nach wie vor die Erschließung des Flughafengeländes für den Bau von 1800 Wohnungen mit einem Anteil von Sozialwohnungen von über 40 Prozent.
Auch Andreas Ellendt (CDU) glaubte nicht, dass mit einer kommunalen Wohnungsgesellschaft in der geplanten Größe etwas zu bewegen sei. Im Unterschied zu seiner Ratsfraktion sei er allerdings nicht gegen eine kommunale Wohnungsgesellschaft, glaube aber, dass in Kooperation mit Genossenschaften mehr zu erreichen sei. Für den künftigen Wohnungsbau spiele nach Ellendt das MFG 5 – Gelände eine wichtige Rolle. Für ihn sei daher völlig unverständlich, wie zögerlich hier der Erschließungsprozess vorangehe.
Florian Wrobel (DIE PARTEI) sprach sich ebenfalls für eine größere und schlagkräftige Wohnungsgesellschaft aus und hielt den geplanten Ansatz für völlig unzureichend. .
Kämpfer bestritt den Mangel an sozialen Wohnungen nicht und erklärte, dass aber der Anteil der Sozialwohnungen an neu gebauten Wohnungen 2018 auf 46 Prozent gestiegen sei.
Dieser Anteil bezieht sich allerdings auf insgesamt nur 340 neu gebauten Wohnungen bei einer abgenommenen Bauintensität von 2,5 % . (Nachträglicher Hinweis der Autoren).
Im Bereich der Sozialwohnungen verwies Thoroe darauf, dass der große Mangel an Sozialwohnungen ein Mangel mit Ansage gewesen sei. Dass allein Ende 2018 rund 4.000 Wohnungen aus der Mietpreisbindung fallen würden, war seit Jahren klar. Dieser Entwicklung wurde nicht gegengesteuert. Um das große Defizit auszugleichen, sei ein Anteil von 30 Prozent sozialer Wohnungen bei dem Bau neuer Wohnungen bei Weitem nicht mehr ausreichend. Dieser Einschätzung schloss sich auch Wrobel an.
Einen Milieuschutzsatzungen etwa für Gaarden und Mettenhof hielt Kämpfer nicht für nötig, da hier aus seiner Sicht keine Gentrifizierung drohe. Wenn überhaupt, sei das rund um den Blücherplatz angebracht.
Übereinstimmungen gab es beim Ausbau des ÖPNV bezüglich der Taktung und Streckenführung. Sie sei in vielen Bereichen nicht ausreichend, um gute Anbindungen und eine Alternative zum Auto herzustellen. Hier forderte Ellendt vor allem bessere Querverbindungen. Neben einer Verbesserung der Taktung und dem Ausbau der Streckenführung setzte Kämpfer auf eine Stadtbahn.
Auch Thoroe forderte eine schienen-geführte Stadtbahn und darüber hinaus ein 365,-€ Jahresticket für alle städtischen Verkehrsbetriebe. Wrobel forderte 1,-€ für Schwarzfahren.
Zum Schluss der Veranstaltung bedankte sich der Moderator Andreas Meyer bei allen für ihr Interesse und die rege Beteiligung.
Als ein Sprecher des Bündnisses für bezahlbaren Wohnraum betonte er, dass sich das Bündnis als Lobby für Menschen verstehe, die auf bezahlbaren und geförderten Wohnraum angewiesen seien. Daher werde man weiterhin die künftige Wohnungspolitik aufmerksam verfolgen.
Dazu gehöre auch, einen politischen Druck aufzubauen, der die Kommunalpolitik zu mehr bezahlbaren und geförderten Wohnungen zwinge.