Rede von Björn für das Bündnis auf der Demo am 03.07.21 in Kiel Gaarden:
Liebe Genoss_innen, liebe Freund_innen,
Ich bin Björn und ich rede hier heute für das Bündnis für bezahlbaren Wohnraum.
Wohnen ist zu einer der bestimmenden sozialen Fragen unserer Zeit geworden. Für Studierende und Auszubildende ohne vermögende Eltern, für Alleinerziehende, für Geflüchtete, für Menschen mit Migrationshintergrund, für Menschen mit einem SchuFa-Eintrag, für Menschen mit einem geringen Einkommen und für sehr viele andere geht es um die schiere Existenz.
2561 Menschen leben in Kiel mittlerweile als sogenannte „Wohnungsnotfälle“, d.h. sie haben keinen eigenen Mietvertrag. Das ist mehr als 1% der Bevölkerung. Diese 2561 Menschen in Kiel leben z.B. bei Bekannten auf der Couch, in Sammelunterkünften oder in von der Stadt bezahlten Billighotelzimmern. Gleichzeitig steigen die Mieten immer weiter.
Selbst die völlig unzureichende Mietpreisbremse gilt in Kiel seit 2019 nicht mehr. Und das Ergebnis folgte auf dem Fuße. Laut dem offiziellen Mietspiegel der Stadt Kiel sind die Mieten innerhalb von 2 Jahren im Schnitt um 12% gestiegen. Weit mehr als die Löhne oder die Sozialleistungen.
Gleichzeitig sollen Stadtteile wie Gaarden aufgewertet, sprich teurer, werden. Es interessiert leider auf Seiten der Entscheider_innen in dieser Stadt niemanden, was mit den Menschen passiert, die sich dann keine Wohnung in Gaarden mehr leisten werden können. Darüber können auch ein paar warme Worte nicht hinwegtäuschen. Das neueste Projekt sind Luxuswohnungen in der Werftstraße. Dort wo mal der Bauwagenplatz stand.
Die Investoren wollen dort sagenhafte 250 Millionen Euro in ein Luxuswohnungshochhaus investieren. Was das bedeuten wird, wird von Herrn Lester ganz klar benannt. Ich zitiere aus den Kieler Nachrichten:
„Die neue Nutzung mit Wohnungen bedeute sogar eine weitere Aufwertung für diesen Standort an der Nahtstelle zwischen Gaarden und Innenstadt, zwischen Ost- und Westufer. Lester weist dem künftigen Quartier eine Reißverschlussfunktion zu, die die Vielfalt Gaardens mit der Exklusivität Düsternbrooks verzahne.“ Zitatende.
Dass die Stadt Kiel so etwas fördert und unterstützt, ist ein Skandal. Niemand braucht die Luxuswohnungen von Herrn Lester hier in Gaarden. Wir wollen kein exklusives Hochhaus, sondern endlich mehr bezahlbaren Wohnraum. Dieses Wahnsinnshochhausprojekt, in dem jede Wohnung weit über eine Millionen Euro kosten wird, muss gestoppt werden!
Auf der anderen Seite werden die Brotkrumen in Form von Sozialwohnungen, die Menschen mit weniger Geld auf dem Wohnungsmarkt noch hingeworfen werden, rapide weniger. Der Sozialwohnungsbestand in Kiel umfasste in den 80er Jahren noch über 90.000 Wohnungen, 90.000 stellt Euch das mal vor! 2005 dann schon nur noch genau 13.710 Wohnungen und heute sind noch rund 3424 davon über. Seit Jahren absehbar, hat sich für diese Entwicklung schlicht niemand der Stadtoberen interessiert. Und trotz der Beteuerungen jetzt endlich etwas zu ändern, sinkt die Zahle der Sozialwohnungen jedes Jahr immer weiter und weiter.
In Gaarden ist noch ein weiteres Problem hinzugekommen: 3000 Wohnungen sind seit ein paar Jahren im Besitz des Wohnungskonzerns Vonovia. Vonovia ist bekannt für Abszocke bei den Nebenkosten und dafür furchtbar schlechten Service zu bieten.
Vonovia geht es nicht um die Menschen in ihren Wohnungen, sondern allein um den größtmöglichen Profit. Abrechnungsbetrug bei den Nebenkosten, Mieterhöhungen, die weit über das gesetzlich Erlaubte hinausreichen und die Nicht-Reaktion auf Beschwerden machen VONOVIA eher zu einer kriminellen Vereinigung als zu einer Institution, der man das Verwalten von Wohnungen überlassen sollte.
Mittlerweile hat die Stadtpolitik ihren Sound geändert. Selbst der Sozialdezernent spricht angesichts der hohen Mietsteigerungen nun von einer untragbaren Situation. Ist ja schließlich Bundestagswahl im Herbst und da muss den Mieter_innen natürlich was geboten werden. Z.B. die Abschaffung des pauschalen Verzichts auf das Vorkaufsrecht der Stadt Kiel auf Grundstücke und Wohnungen.
Ja tatsächlich existiert so ein Vorkaufsrecht der Stadt in vielen Fällen. Innerhalb einer Frist kann die Stadt bei einem Verkauf als Käuferin einspringen. Dieser pauschale Verzicht war ein Skandal und auch ich hatte viel Hoffnung.
Nun hat unsere Sprecherin Charlotte in der Bürgerinnenfragestunde der Ratsversammlung mal nachgefragt und Antwort bekommen. Vor zwei Jahren wurde eine Mitarbeiterin extra dafür neu eingestellt, die Kaufverträge bzgl. eines Vorkaufsrechts zu prüfen. Diese Mitarbeiterin hat nun in zwei Jahren 1654 Kaufverträge gelesen und geprüft. Und ich verrate Euch nun gleich, wie oft die Stadt Kiel dann ihr Vorkaufsrecht wahrgenommen hat. Nämlich Trommelwirbel. 4 Mal. Aber nicht um Wohnungen zu bauen oder diese zu kaufen, sondern für Straßenausbau. Dieses Vorgehen steht exemplarisch für die Wohnungspolitik der Stadt.
Mit großem Brimborium wird angekündigt: Nun wird alles besser und was raus kommt, ist ein zusätzlicher Arbeitsplatz in der Stadtverwaltung und mehr Platz für Straßen. Nur leider keine einzige bezahlbare Wohnung.
Diese radikale Situation erfordert radikale Antworten. Wohnungsgroßkonzerne wie Vonovia, Deutsche Wohnen etc. müssen enteignet werden. Außerdem muss selbstbestimmtes Wohnen gestärkt werden. In Kollektiven, auf Wagenplätzen, in großen Genoss_innenschaften oder in Wohnungen, die der Stadt gehören. Kein Mensch in Kiel darf unfreiwillig ohne Wohnung auskommen müssen.
Und dann ist da ja auch noch das Lieber anders in Gaarden. Ein Ort für Zusammenkünfte, oder für einfach mal quatschen oder einfach ohne Termin ganz unbürokratisch die Mieten- und Sozialberatung besuchen. Und ein Ort, wo regelmäßig Essen für alle gekocht wird. Und natürlich ein Ort dafür widerständige Pläne auszuhecken. Damit vielleicht doch mal mehr bezahlbare Wohnungen gebaut werden. Und dieser Ort muss erhalten bleiben und ich darf ganz herzliche, solidarische Grüße des Bündnisses für bezahlbaren Wohnraum schicken.