Kiel. 11. November 2016 |
Die Veranstaltung „Warum wohnst Du, wo Du wohnst? – Strategien gegen Wohnungsmangel“ fand am Freitag, den 11.11.2016 an der Christian-Albrechts-Universität statt. Die Diskussion zwischen den hochrangigen Gästen verlief kontrovers, da unterschiedliche Positionen deutlich wurden. Anwesend waren der Stadtsoziologe, Andrej Holm aus Berlin; der Sozialdezernent der Stadt Kiel, Gerwin Stöcken; Jochen Kiersch, Vorsitzender des Kieler Mietervereins; Günter Ernst-Basten, Geschäftsführer des PARITÄTISCHEN in Schleswig-Holstein; Timo Pawlytsch, hochschulpolitischer Referent des AStA der CAU und zwei Vetreter_innen des stadtpolitischen Ratschlags, der die Veranstaltung organisierte.
Zu Beginn referierte Andrej Holm über Fehlentwicklungen im Bereich des sozialen Wohnungsbaus und nannte Möglichkeiten, mehr leistbaren Wohnraum zu schaffen. Er betonte die öffentliche Verantwortung, die beispielsweise mittels kommunalen Wohnungsbaus erfüllt werden könnte. Bereits eingeführte Instrumente wie die Mietpreisbremse sind laut Studien gescheitert, da sich in 85% der Neuvermietungen nicht daran gehalten wird und keine Sanktionen erfolgen. Im Wohngeld als staatliche Hilfe sah er eine verdeckte Subvention der Wohnungswirtschaft. Derzeit werden hierfür deutschlandweit jährlich 17 Milliarden Euro in Form von Wohngeld und Zuschuss im Rahmen von Hartz 4 aufgewendet. Ein Teil dieser Mittel könnte auch sinnvollerweise bei der öffentlichen Hand verbleiben und in leistbaren Wohnraum investiert werden.
Stöcken zeigte verschiedene Problemlagen, die den Wohnungsmarkt in Kiel beeinflussen, auf. Er nannte den doppelten Abiturjahrgang, durch den derzeit deutlich mehr Studierende auf den Wohnungsmarkt drängen, Zuzüge aus dem Umland sowie die Inanspruchnahme von einer höheren Quadratmeterzahl pro Person als in der Vergangenheit. Er stellte den 2015 beschlossenen „Masterplan Wohnen“ vor, in dem vorgesehen ist, auf öffentlichem Grund ein Drittel sozial geförderten Wohnraum zu schaffen. Außerdem sollen 1800 Wohnungen nach dem Kieler Modell öffentlich gebaut werden.
Ernst-Basten bot der Stadt eine Zusammenarbeit an, um die von Holm geforderte große Vision zur Entspannung des Wohnungsmarktes zu entwickeln. Zudem machte er darauf aufmerksam, dass Inklusion auch bedeutet, dass mehr Menschen mit Behinderungen eine eigene Wohnung bekommen müssen. „Ein breites zivilgesellschaftliches Bündnis ist nötig, welches Druck macht und das Thema in die öffentliche Debatte bringt,“ so Basten.
Der Vertreter des AStAs stellte die Situation der Studierenden dar. „Besonders schwer haben es ausländische Studierende und solche, die spät ihre Zusage für ihren Studienplatz erhalten.“ Daher forderte er den Bau von weiteren Studierendenwohnheimen.
Kiersch bemängelte, dass die Stadt vom Mieterverein vorgeschlagene Handlungsoptionen nicht wahrgenommen hat. So wurden beispielsweise 600 Wohnungen, die in einer Zwangsversteigerung günstig zu erwerben waren, nicht von der Stadt gekauft. Er forderte außerdem die Einführung der Kappungsgrenzenverordnung in Kiel. Er kritisierte zu wenig Neubautätigkeit sowie den Abriss von günstigem Wohnraum, anstelle dessen Luxuswohnungen gebaut wurden. „Der Markt wird keinen preiswerten Wohnraum generieren“, so Kiersch.
Die Vertreter_innen des Stadtpolitischen Ratschlags forderten leistbaren Wohnraum auch auf privatem Grund gemäß dem tatsächlichen Bedarf umzusetzen. Wohnungsbau muss konsequent unter gemeinnützigen Kriterien erfolgen. Die Wahl des Wohnortes darf nicht vom Geldbeutel abhängig sein, damit eine selbstbestimmte Lebensgestaltung möglich ist. Sie wiesen darauf hin, dass laut Sozialbericht der Stadt Kiel 14.000 geförderte Wohnungen fehlen und kritisierten, dass zudem der Anteil an gefördertem Wohnraum von 15,7 % im Jahr 2005 auf 6,7% im Jahr 2015 gesunken ist. Besonders dramatisch entwickelt sich auch die Zahl der Wohnungsnotfälle, die sich von 2011 bis 2015 auf über 900 verdreifachte. Von der Stadt forderten sie mehr Kampfgeist um der Marktentwicklung etwas entgegenzusetzen.
Aus dem Publikum kam ein Einwand von Ulrike Hunold, Vorstandsmitglied der BUND-Kreisgruppe Kiel, die sich auf den Wohnraumatlas bezog und kritisierte, dass die Hälfte der öffentlichen Flächen mit Einfamilienhäusern bebaut werden soll. Sie forderte, bestehende Grünflächen nicht zur Nachverdichtung zu nutzen. Stattdessen schlug sie vor, in die Höhe zu bauen und Häuser mit mehr Geschossen zu planen. Ein Vertreter von ATTAC machte deutlich, dass unbedingt breiter Protest notwendig sei.
In der anschließenden Diskussion bestand Einigkeit darin, dass kommunaler Wohnungsbau notwendig ist, allerdings wurden unterschiedliche Ansichten über Umfang und Rahmenbedingungen deutlich. Die Stadt will 1800 Kieler-Modell-Wohnungen bauen, von denen bislang allerdings nur 100 in Planung sind. Von den anderen Vertreter_innen des Podiums wurde hingegen ein relevanter Akteur auf dem Kieler Wohnungsmarkt gefordert, der weitaus mehr Wohnungen mit leistbarem Wohnraum zur Verfügung stellt. Differenzen bestanden bezüglich der Handlungsoptionen der Stadt. Stöcken bestand darauf, dass die Gegebenheiten nicht veränderbar sind und auf Grundlage dieser gehandelt werden muss, da sonst eine Zusammenarbeit mit privaten Akteuren nicht mehr möglich ist. Holm forderte, die Herangehensweise neu zu denken und eine große Vision zu entwerfen, um die Problemlage zu entspannen. Als Möglichkeit nannte er gemeinnützige Baugenossenschaften als Partner der Stadt. Es wurde darauf hingewiesen, dass bei bereits geplanten Bauvorhaben zu wenig oder kein sozialer Wohnraum vorgesehen ist. Stöcken wünschte sich, die Fehler der Vergangenheit nicht mehr zu diskutieren und in die Zukunft zu schauen.
Derzeit formiert sich ein breites gesellschaftliches Bündnis mit dem Ziel, mehr bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, an dem sich unter anderem der Paritätische Wohlfahrtsverband, AStA, Ver.di, die interventionistische Linke, der Stadtpolitische Ratschlag, Grüne Jugend, DIE LINKE, die Piratenpartei, die DGB-Jugend und Attac beteiligen.
Björn Thoroe