Interdisziplinäre Wochen an der FH Kiel

Im Rahmen der diesjährigen interdisziplinären Wochen an der Fachhochschule Kiel hat das Bündnis für bezahlbaren Wohnraum eine Unterrichtseinheit gestaltet zum Thema „Aktivismus für bezahlbaren Wohnraum“.

Im 1. Teil versuchte Charlotte Spieler, eine Darstellung der Mieter*innenkämpfe und der staatlichen Wohnungspolitik von der Kaiserzeit bis in die Gegenwart zu geben, das lässt sich hier unten nachlesen.

Im 2. Teil warf die Hamburger Soziologin Eva Kuschinski einen Blick auf feministische Projekte des Wohnens, die es schon seit dem vorletzten Jahrhundert gab, allerdings in der Gegenwart – sieht man von autonomen Frauenhäusern ab – eher nicht auszumachen sind. Link zur PDF

Im 3. Teil gab Björn Thoroe einen Überblick über die prekäre Situation auf dem Kieler Wohnungsmarkt. Link zur PDF

Fachhochschule 5.5.23 Aktivismus für bezahlbaren Wohnraum

Die aktuelle Situation auf dem Wohnungsmarkt ist bekannt, weil in aller Munde. Um zu verstehen, wie es dazu kommen konnte, muss man einen Blick zurück werfen.

Mieterkämpfe

Die ersten Mieterkämpfe sind in Berlin seit 1870 dokumentiert. Die Stadt vergrößerte sich zu der Zeit stark infolge der Industrialisierung, die Bevölkerungsdichte war hoch, Wohnraum war Mangelware und wurde durch Immobilienspekulation schon damals immer teurer, was zu hoffnungsloser Überbelegung der Wohnungen führte, da die Mieten für einzelne Familien zu hoch waren (Schlafburschen).

Es gab kein Mietrecht, Mietverträge wurden für wenige Monate abgeschlossen, nach Ablauf gab es saftige Aufschläge, oder es erfolgte die Zwangsräumung durch den Executor, der bei Mietschulden auch nahezu den gesamten Hausrat pfänden konnte. Diese Zwangsräumungen waren Anlass für die sog. Blumenstraßen- und Moritzplatzkrawalle, bei denen sich tausende Menschen mit den Betroffenen solidarisierten, die Vermieter angingen und sich gegen die massiven Polizeieinsätze zur Wehr setzten.

Auch wegen des Abrisses zahlreicher Behelfsbauten 1872 im Zusammenhang mit dem Besuch des russischen Zars Alexander II. und dem österreichischen Kaiser Franz Joseph kam es aus der Bot heraus zu heftigen Aufständen, Barrikadenbau und Besetzung einer Polizeiwache. Es gab viele Verletzte und Verhaftungen und im Anschluss Verurteilungen zu mehrjährigen Haftstrafen.

Allerdings waren die Arbeiterbewegung und die Gewerkschaften noch schwach, die Proteste flauten ab und hatten keine konkreten Erfolge.

Erst ab 1888 gab es eine dauerhafte, organisierte Interessenvertretung von Mieter*innen, die aber in verschiedene Vereine zersplittert blieb.

In den ersten Jahren der Weimarer Republik, also nach dem 1. Weltkrieg, politisierten sich die Mieterproteste, Mieterräte mobilisierten zu Großdemonstrationen und Mietstreiks.

Die Mietervereine erlebten großen Zulauf, die Mieterräte, die oft kommunistisch orientiert waren, wurden stärker, z.B. versuchte man, Zwangsräumungen durch Mobilisierung der Nachbarschaft zu verhindern.

Die Mieterbewegung spaltete sich 1920 in einen eher bürgerlichen, konservativen Teil, der Mieterschutz, Verhandlungen und Mitarbeit an Gesetzgebungsverfahren wollte, und einen kämpferischen Teil, der Mietenstreik, Kampf und Sozialisierung des Wohnraums anstrebte. Im April 1921 kam es zum 1. großen Mietstreik, an dem sich Zehntausende Mieter*innen beteiligten. Die Forderungen sind heute noch aktuell.

Auf der anderen Seite entstand eine staatliche Wohnungspolitik, die staatlich regulierte Wohnungsversorgung erlangte sogar Verfassungsrang. Ein verbindlicher Mietpreis wurde festgesetzt (sog. Friedensmiete vom Juli 1914), und der Staat förderte den Wohnungsneubau.

1922 wurde das 1. Reichsmietengesetz verabschiedet, das bei aller Unzulänglichkeit eine Festlegung der Mietobergrenzen beinhaltete und Mieterräte (Mieterausschüsse) als Vertretungsberechtigte anerkannte, die ein Mitbestimmungsrecht hatten.

Mitte der 20er Jahre gab es eine kurze Zeit der sozialen Wohnungsreform, 1923 ein Mieterschutzgesetz mit Mietpreiskontrolle und Kündigungsschutz, außerdem die Preistreiberei-Verordnung gegen Mietwucher. 1924 wurde die Hauszinssteuer, eine Ertragssteuer auf vor 1918 entstandenen Wohnraum, eingeführt, die für die Wohnungsbaufinanzierung verwendet wurde. Gemeinnützige Gesellschaften und Genossenschaften entstanden, die viele Wohnungen für die breite Masse der Bevölkerung bauen wollten.

Infolge der Wirtschaftskrise Anfang der 30er Jahre jedoch spitzte sich die Situation wieder zu, Armut griff um sich infolge der hohen Arbeitslosigkeit, eine rigorose Sparpolitik wurde betrieben, die Hauszinssteuer zweckentfremdet, der Wohnungsbau kam zum Erliegen. Die soziale Not wurde immer größer, die Proteste wurden wieder stärker, es gab tagelange Straßenschlachten, im Herbst 1932 wurden die Mieterproteste zur Massenbewegung. Für den 1. August wurde zu einem zweiten Mietstreik aufgerufen, der zu einem Teil Erfolg hatte: Zwangsräumungen wurden zurückgenommen, Mietrückstände wurden gestrichen, Mieten wurden um bis zu 40 % gekürzt.

Der „Zentrale Mieterausschuss“ lud im Februar 1933 zum „Groß-Berliner Mieter-Delegiertenkongress“ ein, die SPD weigerte sich, mit den radikalen Mietaktivist*innen gemeinsame Sache zu machen, nachdem auch das Landgericht Berlin im Januar 1933 geurteilt hatte, dass kollektive Mietverweigerung ein sittenwidriges Instrument im Wirtschaftskampf sei und unter Strafe gestellt wurde.

All dies wurde dann durch die Machtübernahme der Nazis 1933 schnell verhindert, die Mieterausschüsse wurden zerschlagen und die Mietervereine gleichgeschaltet.

Wohnungspolitik nach dem 2. Weltkrieg

Anfangs gab es eine gesetzliche Deckelung der Mietpreise, es wurde ein Mietenstopp eingeführt, das Mietniveau von 1936 wurde festgeschrieben.

Mitte der 60er Jahre änderte sich die Wohnungspolitik. Deklariert als Abschaffung der Wohnungszwangswirtschaft wurden die ungeliebten Zwangseinweisungen und gleichzeitig die gesetzliche Mietpreisregulierung abgeschafft in einem sog. „Abbaugesetz“, dem „Lückeplan“ (benannt nach dem Bauminister Paul Lücke) mit der Folge, dass 25 – 35 % Mieterhöhung sofort zulässig war.

So wurde bis Ende 1963 die Mietpreisbindung in knapp 400 Kreisen in der BRD aufgehoben, das waren dann die sog. Weißen Kreise; in Hamburg 1974, in München 1975, in Berlin 1987.

Das war der 1. entscheidende entfesselnde Schritt, dagegen hat später nichts mehr geholfen, weder Mietspiegel noch Mietpreisbremse.

2. Schritt war die Abschaffung der Wohnungsgemeinnützigkeit,
die es seit Mitte des 19. Jahrhunderts gegeben hatte. Sie bedeutete:

– Kostenmiete, also keine Gewinne, sondern nur das, was zur
Abzahlung und zum Unterhalt der Wohnung nötig war
– Deckelung der Rendite auf 4 %
– dafür gab es Steuererleichterungen

Abgeschafft wurde sie 1990 von der Kohl-Regierung (CDU/FDP) auf Druck des Finanzministeriums (Finanzminister Stoltenberg). Der Betrugsskandal der „Neuen Heimat“ hat die Stimmung begünstigt. Es gab zwar Widerstand gegen die Abschaffung, der war aber nicht groß genug.

3. Schritt war das Steuersenkungsgesetz (2000)

Die rot-grüne Bundesregierung unter Schröder regelte, dass Gewinne aus dem Verkauf von Aktienpaketen und Tochtergesellschaften steuerfrei wurden. Damit wurde die Privatisierung ehemals gemeinnütziger Wohnungen richtig attraktiv. Massenhaft wurden Wohnungen gekauft, maximale Rendite rausgezogen, dann mit Gewinn wieder verkauft, Renditen lagen bei 20-30 %.

Dazu kamen eine weitere Liberalisierung der Finanzmärkte und die Zulassung der Hedgefonds auf den Wohnungsmärkten (Private-Equitiy-Fonds).

Begünstigt wurde dies durch die Massenprivatisierung öffentlicher Wohnungsbestände.

Bund, Länder und Kommunen verkauften ab Mitte der 90er Jahre ihre Wohnungen massenhaft und ohne dass Grunderwerbssteuer anfiel: Sog. Share Deals (Anteilskauf bis 95 %):
Bahn und Post; Eisenbahnerwohnungen; Gagfah (BfA); Bergmannswohnungen; TLG (Treuhand Liegenschaftsgesellschaft mbH) DDR-Wohnungen; BImA (Bundesanstalt für Immobilienaufgabe); LEG NRW; Berlin verkaufte an Ceberus/Deutsche Wohnen; Bayern, Ba-Wü, Hamburg, SH; Dresden, Frankfurt/M., Kiel.

In der DDR wurden per Altschuldenhilfegesetz im Einigungsvertrag 1990 die staatlichen Wohnungen den Kommunen übertragen incl. hoher Schulden, die mussten, um Hilfen zu bekommen, mindestens 15 % ihres Bestandes privatisieren (es wurden ca. 345.000 Wohnungen privatisiert).

Parallel dazu wurde der Soziale Wohnungsbau an die Wand gefahren.

Mit dem 1. Wohnungsbaugesetz 1950 sollten noch „breite Schichten des Volkes“ mit bezahlbarem Wohnraum versorgt werden. 1951 waren 70 % aller fertig gestellten Neubauten Sozialwohnungen, heute sind es 7 %.

In den 60er Jahren wurde ebenfalls unter der Kohl-Regierung weniger in den sozialen Wohnungsbau investiert, es wurde mehr Eigentumsförderung betrieben.

2001 änderte Rot-Grün das Wohnungsbaurecht durch einen Perspektivwechsel von „breiten Schichten der Bevölkerung“ hin zu „unterstützungsbedürftigen Haushalten“; die Kostenmiete wurde abgeschafft; die Fördersummen wurden reduziert.

2006 wurde durch die Föderalismusreform der soziale Wohnungsbau vom Bund auf die Länder übertragen, die konnten mit Bundesfördermitteln machen, was sie wollten, haben sie auch.

Noch 2020 kürzte die CDU/SPD-Regierung die Gelder für den sozialen Wohnungsbau um 1/3.

Problem: zeitliche Befristung der Bindungen, immer kürzer, zum Teil nur noch 15 Jahre; das gibt es in keinem anderen europäischen Land.

Forderung: Einmal Sozialwohnung, immer Sozialwohnung.

Das alles führte zu einem grandiosen Aufstieg der Wohnungskonzerne bzw. Investoren.

Ausgangspunkt war der massenhafte Verkauf von öffentlichem Wohnraum; dazu kamen die Steuergeschenke; nach einem Börsengang geht es darum, Gewinne zu steigern, hohe Dividenden zu zahlen, hohe Rendite erzielen, es werden fürstliche Gehälter für die Vorstände gezahlt (Buch von Vonovia 2017: 5,673 Mio €, 2020: 7,884 Mio €). Man nennt das Finanzialisierung des Wohnungsmarktes.

Die Geschäftspolitik besteht darin:

– alte Bestände aufkaufen, teuer sanieren, Mieten erhöhen

– Wohnungen vergammeln lassen und sparen, wo’s geht, Mieten
trotzdem maximal erhöhen, falsche Nebenkostenabrechnungen

Internationale Spekulation

Der deutsche Markt gilt als stabil, sicher, krisenfest, daher attraktiv, aufgrund der Steuergeschenke (keine Grunderwerbssteuer) und der Finanzmarktliberalisierungen. Insbesondere Pensionsfonds investieren hier aus China, Russland, Schweden, Dänemark, USA, GB, Kanada, Australien, Frankreich, Norwegen.

Neuere Tendenz: weg von Berlin, nach NRW, in kleiner Städte, Pflegeeinrichtungen.

Bodenspekulation

80 % der gestiegenen Immobilienpreise gehen auf gestiegene Bodenpreise zurück.

Es gab eine breite, starke Bodenreformbewegung seit Ende des 19. Jh., die die Baulandwertsteigerungen einschränken sollte.

Die SPD setzte 1970 eine Kommission für eine Bodenrechtsreform ein, die gute Vorschläge gemacht hat (Vergesellschaftung des Bodens, lediglich Nutzungsrecht; Besteuerung der Spekulationsgewinne, so Hans-Jochen Vogel, OB in München und Bundesbauminister).

Die Reform scheiterte am Widerstand der Grundbesitzer (Haus & Grund), der CDU, der FDP, der Landwirte.

Danach tat sich nichts Gutes mehr. Heute gibt es wieder eine Diskussion und gute Vorschläge, bisher alles ohne Erfolg.

2021 gab es 30.000 Zwangsräumungen.

Warum sich nichts ändert

1. Politiker sind gebildeter, reicher, empathielos, aus ländlichen Räumen und mittelschichtsorientiert, es gibt dreimal so viel Baukindergeld wie Geld für sozialen Wohnungsbau. Schielen auf das Wählerpotential: Die Armen wählen nicht (mehr), Ausländer dürfen nicht wählen.

2. Ahnungslosigkeit der Abgeordneten z.B. bei der Steuerreform 2000, da haben sie es nicht kapiert, auch nicht was Steuerfreiheit für Veräußerungsgewinne von Kapitalgesellschaften oder die Zulassung des Handels mit Derivaten im Immobilienbereich bedeuten. Es gibt Deals (keine Flugbenzinbesteuerung, damit Bayern für die Abschaffung der Wohnungsgemeinnützigkeit stimmt).

3. Mythen wie:
– Der Markt wird es schon richten – Neoliberalismus
– Investoren werden es richten, die haben das Geld und können
bauen.
– Traum vom Eigenheim, ideologische Funktion, Standesdünkel,
Platte wird runtergemacht
– Schreckgespenst Sozialismus (Arbeitervillen im Tessin)
– Schmuddelkinder will keiner, auch Genossenschaften wollen
keine Asozialen
– Immobilien- und Mietenlobby sind sehr unterschiedlich stark (personell und finanziell).

4. Lobbymethoden und – ausmaß
– Lobbybriefe
– Argumentationsmaterial
– Verfassungsklagen
– Essenseinladungen
– Auftrittsmöglichkeiten
– Initiative Finanzstandort Deutschland (IFD)
– Fondsstandortgesetz 2020 (Olaf Scholz Finanzminister)
– Spenden und Sponsoring
– Seitenwechsel der Politiker*innen in die Immobilienbranche

5. Schwächen der Mieterbewegung

6. Eigene Fehler und Versagen von Mitte-Links

10 Alternativen für bezahlbare Mieten

1. Mietendeckel bundesweit
2. Gemeinnützig wirtschaften, sozial bauen (Wien)
3. Rekommunalisierung privatisierter Bestände, Rückkauf,
Rekommunalisierungsfonds, kommunales Vorkaufsrecht
allgemein, Preise deckeln
4. Genossenschaften stärken
5. Anti-Spekulationsgesetz
– Steuerfreiheit bei Veräußerungsgewinnen weg
– Abschaffung der Share Deals
– Abschaffung der Spekulationsfrist von 10 Jahren
6. Bodenwertzuwachssteuer
7. Immobilienbesitz beschränken auf „Einheimische“
8. Hedgefonds und REITS raus aus dem Wohnungsmarkt, Gesetze
müssen wieder geändert werden, sollen an Kommunen und
Genossenschaften verkaufen, sollen vergesellschaftet werden
nach Art. 15 GG, Vorkaufsrecht für Mieter
9. Task Force Geldwäsche
– Immobilienregister öffentlich, mehr Transparenz
– Bargeldverkauf verbieten
– Taskforce Geldwäsche im Immobilienbereich
10. Organisieren! Mitte-Unten!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert